Lernfeld Baustelle im Unterricht: Innovation, Digitalisierung, Fortschritt

Innovation, Digitalisierung und Fortschritt prägen gesellschaftliche Prozesse und somit auch den Alltag und die Zukunft der Lernenden. Deshalb ist es von Bedeutung, diese Themen in den schulischen Diskurs einzubinden. Besonders in technisch und wirtschaftlich ausgerichteten Fächern spielen sie in verschiedenen Lernfeldern eine Rolle. Sie bieten Anknüpfungspunkte, um aktuelle Herausforderungen und Entwicklungen kritisch zu analysieren und zu reflektieren.

Dieser Fachartikel beleuchtet, wie die Baustelle – insbesondere mit dem Fokus auf das Gerüstbau-Handwerk – als Lernfeld genutzt werden kann, um die gesellschaftliche Relevanz von Innovation, Fortschritt und Digitalisierung praxisnah und anschaulich zu vermitteln.

Fachartikel
  • Fächerübergreifend
  • Sekundarstufe I, Sekundarstufe II
Zwei Krananlagen, die auf einer Baustelle über einem mehrstöckigen Gebäude arbeiten.

Die Bedeutung der Baustelle als praxisorientiertes Lernfeld

Innovation, Fortschritt, Digitalisierung und Nachhaltigkeit prägen gesellschaftliche Prozesse und damit den Alltag und die Zukunft der Lernenden. Auch in der Schule, unter sich ändernden Bedingungen, werden Innovation, Fortschritt und insbesondere Digitalisierungsprozesse sichtbar. Um Prozesse im Kontext von Innovation, Fortschritt und Digitalisierung im Unterricht aufzugreifen und zu thematisieren, bietet sich ein handlungsorientierter Unterricht an, der zahlreiche Vorteile und Chancen birgt.
Eine Möglichkeit, diese Potenziale auszuschöpfen und praxisnahes Lernen zu ermöglichen, liegt in der Auseinandersetzung mit einem Bereich, in dem diese Themen konkret erlebbar werden. Ein solches Beispiel, das als Lernfeld genutzt werden kann, ist die Baustelle und insbesondere das Gerüstbau-Handwerk. In diesem Bereich spielen Fortschritt, Innovation und Digitalisierung nicht nur im wirtschaftlichen Kontext, sondern auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zukunftsweisende Technologien eine zentrale Rolle.

Am Beispiel des Gerüstbaus wird deutlich, dass praxisorientierte Lernfelder den Unterricht nicht nur anschaulicher und motivierender gestalten können, sondern auch das Verständnis und die nachhaltige Verankerung des erworbenen Wissens fördern. Durch die Verknüpfung von Theorie und Praxis wird ein besseres Verständnis für die Relevanz von Innovation, Fortschritt und Digitalisierung geschaffen, was nicht zuletzt auch zur Entwicklung von Kompetenzen beiträgt, die für die zukünftige Lebens- und Arbeitswelt der Lernenden relevant sind.

Um Schülerinnen und Schüler an solche fächerübergreifenden Themen heranzuführen, bieten sich verschiedene Ansätze an. Ein effektiver Weg ist das projektbasierte Lernen, bei dem die Lernenden verschiedene Rollen einnehmen können und – etwa in Bezug auf das Beispiel der Baustelle – die Rolle der Bauleitung, der Sicherheitsbeauftragten oder der Nachhaltigkeitsbeauftragten einnehmen können. Durch Aufgaben wie das Erstellen eines Gerüstbauplans oder die Organisation der Arbeitsvorbereitung entdecken die Schülerinnen und Schüler die zahlreichen und vielseitigen Tätigkeitsfelder einer Baustelle. Sie erleben realistische Arbeitsbedingungen und erfahren, welche Herausforderungen und Aufgaben der Alltag auf einer Baustelle mit sich bringt, welche Lösungen entwickelt werden und wie diese Lösungen mit Fortschritt und Innovation verbunden sind. Gleichzeitig können gesellschaftliche Veränderungen anhand des Lernfeldes reflektiert werden, wie etwa der technische Fortschritt, ein wachsendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit oder die Entwicklung und Umsetzung relevanter Regularien.

Dieser Ansatz fördert nicht nur das Verständnis der thematischen Zusammenhänge, sondern auch die Übernahme von Verantwortung und die Entwicklung zukünftig immer relevanter werdender Schlüsselkompetenzen wie Selbstorganisation, Selbstreflexion und eigenständiges Lernen. Darüber hinaus lernen die Schülerinnen und Schüler, fächerübergreifende Fragestellungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und ihr Wissen auf praxisnahe Herausforderungen anzuwenden.

Dabei bietet gerade das Lernfeld Baustelle den Vorteil, dass hier zahlreiche Handwerke zusammenarbeiten und so ein entsprechend breites Spektrum an handwerklichen und technischen Berufen betrachtet werden kann. Der Gerüstbau zeigt exemplarisch, wie entscheidend die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gewerken ist, denn Gerüstbauerinnen und Gerüstbauer arbeiten oft insbesondere mit Dachdeckerinnen und Dachdeckern sowie Malerinnen und Malern Hand in Hand. Durch die Veranschaulichung der Zusammenarbeit, die sich gut in verschiedenen Rollenspielen umsetzen lässt, können bei den Lernenden Fähigkeiten in den Bereichen Kommunikation, Kooperation und interdisziplinäres Arbeiten und Denken entwickelt werden.

Baustellen eignen sich auch deshalb gut als Lernfeld, weil die Lernenden auf dem Weg zur Schule die Baustellen täglich im Stadtbild wahrnehmen, die dahinter liegenden Prozesse in den Bereichen Fortschritt, Nachhaltigkeit und Innovation aber oft unbemerkt bleiben. Durch Einblicke in diese Prozesse erhalten die Lernenden die Möglichkeit, abstrakte Themen wie technologische Entwicklungen oder nachhaltiges Bauen mit einem konkreten Beispiel zu verbinden.

Der Einblick in die digitale Transformation von Baustellen bietet zudem die Gelegenheit, zentrale Fragestellungen im Kontext der Digitalisierung zu behandeln: Wie sieht Digitalisierung auf der Baustelle aus? Welche Technologien und Arbeitsprozesse werden eingesetzt, um Effizienz und Nachhaltigkeit zu fördern? Diese Reflexion kann direkt mit dem Schulalltag der Lernenden verknüpft werden. So ergeben sich Anknüpfungspunkte, um Parallelen zwischen den digitalen Herausforderungen auf Baustellen und denen im schulischen Umfeld zu ziehen: Welche Schnittmengen gibt es zwischen der Digitalisierung im Bausektor, konkreter Gerüstbau-Handwerk, und der Digitalisierung im Bildungsbereich? Indem Lernende Digitalisierung in einem für sie greifbaren Kontext kennenlernen, wird nicht nur ihr Verständnis für diese komplexen Themen vertieft, sondern auch die Relevanz des Themas für die eigene Zukunft verdeutlicht.

Das Themenfeld Baustelle kann neben den oben genannten Rollenspielen auch durch Praktika, Workshops oder Gastvorträge von beispielsweise Gerüstbauerinnen und Gerüstbauern in den Unterricht integriert werden.

Die Vorteile der Digitalisierung im Bauwesen

Möchte man die Schülerinnen und Schüler an fächerübergreifende Themen wie Digitalisierung und Fortschritt heranführen, eignet sich die Baustelle als praktisches Beispiel. Denn wie in allen anderen Lebensbereichen hat die Digitalisierung auch für die Baustelle in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Indem die Lernenden an den Themenkomplex Digitalisierung und Baustelle herangeführt werden, werden sie dazu angeregt, die Bedeutung der Digitalisierung zu reflektieren: Digitalisierung umfasst Zusammenhänge, die über die alltägliche Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler hinausgehen – und doch beeinflussen auch diese ihr eigenes Leben.

Digitalisierung im Bauwesen bedeutet die Nutzung von 3D-Laserscannern und Modellierungsprogrammen. Die 3D-Lasertechnologie ermöglicht eine schnelle und genaue Erfassung von Gebäuden und Umgebungen. Später können die erfassten Daten dann in spezielle Softwareprogramme importiert und 3D-Modelle oder digitale Kartierungen erstellt werden. Diese Technik des virtuellen Planens wird im Gerüstbau für großangelegte Projekte bereits angewendet und Gerüste in virtuellen Umgebungen einbeschrieben. Für die Umsetzung an sich als auch zur Unterstützung der Vorstellungskraft des Kunden/der Kundin vereinfachen sie das Arbeiten und verringern Planungsfehler. Durch die Nutzung verschiedener digitaler Technologien, wie das Building Information Modeling (kurz: BIM), können Planungsprozesse automatisiert und optimiert werden. Der Einsatz von Drohnen ermöglicht es außerdem, Bereiche mit hohen Gefahrstoffkonzentrationen zu analysieren, ohne dass Menschen dabei in Gefahr geraten. Für Gerüstbauerinnen und Gerüstbauer sind solche Technologien hilfreich, da sie auch schwer zugängliche Stellen sicher und genau planen können.

Die Digitalisierung bietet einige Vorteile, die die Effizienz von Bauprojekten deutlich erhöhen und durch verbesserte Nachhaltigkeit zum Umweltschutz beitragen:

  1. Reduzierung der Kosten
  2. Ersparnis von Zeitaufwand
  3. Optimierung verschiedener Prozesse
  4. Gesteigerte Effizienz bei Nutzung von Ressourcen
  5. Bessere Umweltbilanz von Gebäuden

Durch die Auseinandersetzung mit den Vorteilen der Digitalisierung im Bauwesen lernen die Schülerinnen und Schüler technologische Fortschritte als Problemlöser für verschiedene Herausforderungen kennen. Dabei erlangen sie ein Verständnis für die wirtschaftliche Bedeutung der Digitalisierung, etwa indem sie sich damit auseinandersetzen, wie durch optimierte Arbeitsprozesse Mehrwert entsteht. Darüber hinaus erkennen die Schülerinnen und Schüler, wie wichtig eine gute Planung für wirtschaftlichen Erfolg ist. Die Beschäftigung mit der virtuellen Planung von Gerüsten fördert zudem Vorstellungskraft und Kreativität.

Welche Chancen bieten innovative Materialien und neue Techniken?

Beton, der Risse eigenständig reparieren kann und dadurch länger haltbar ist? Bakterien machen es möglich! Sie lassen kleine Risse wieder verschwinden, indem sie Calciumcarbonat – den Hauptbestandteil von Beton – freisetzen. An der Hochschule München wurde ein solcher neuartiger Baustoff entwickelt, der eine vielversprechende Lösung für einen umweltfreundlichen Beton darstellt.2 Durch eine verlängerte Lebensdauer von Bauwerken müsste insgesamt weniger Beton hergestellt werden. Damit würde der Ausstoß an Kohlenstoffdioxid in die Umwelt verringert, denn die Produktion von Beton stößt große Mengen des Treibhausgases aus. 

Die Nutzung digitaler Planungssoftware hilft dabei, Fehler zu reduzieren und so nicht nur Baukosten zu senken, sondern auch Zeitaufwand zu reduzieren. Gerüstbauunternehmen sowie Gerüstbauerinnen und Gerüstbauer profitieren davon, da sie die Stabilität und Sicherheit ihrer Gerüste mithilfe solcher Technologien schon vor der Errichtung sicherstellen können. Allerdings ist die Entwicklung digitaler Lösungen sowie die Anschaffung neuartiger Technologien in den meisten Fällen zunächst kostenintensiv, weswegen diese vorrangig von größeren Bauunternehmen realisiert werden können.3 Dieser Aspekt darf nicht vernachlässigt werden und kann den Schülerinnen und Schülern verdeutlichen, dass ein Fortschritt nicht immer sofort und ohne weitere Herausforderungen realisierbar ist.

Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit als zentrale Themen im Bausektor

Die Themen Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung, die eng mit den in der Schule vermittelten zentralen Themen verbunden sind, sind im Bausektor von größter Bedeutung, da die Bauindustrie einen wesentlichen Einfluss auf die Umwelt hat. Die Baustelle eignet sich auch deshalb sehr gut als praxisorientiertes Lernfeld, da die Themenbereiche Digitalisierung, Innovation und Fortschritt mit den Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz ineinandergreifen und sich gegenseitig stark beeinflussen. 

Bereits mit kleinen Maßnahmen und Änderungen kann eine große Wirkung erzielt und ein positiver Beitrag zur Schonung der Umwelt geleistet werden. Beispielsweise trägt eine effiziente Nutzung der Baumaterialien dazu bei, wertvolle Ressourcen zu sparen. Ermöglicht werden kann dies durch eine präzise Planung sowie den bereits erwähnten Einsatz fortschrittlicher Technologien wie BIM. Ein weiterer Aspekt, der zur Nachhaltigkeit und zum Klimaschutz beiträgt, ist die Verwendung nachhaltiger Materialien, wie recycelten Kunststoffen und anderen Baustoffen. Durch das Recycling können nicht nur die Rohstoffe geschont, sondern auch anfallender Abfall durch die erneute Nutzung vermindert werden. Bereits heute werden recycelte Baustoffe im Bereich technischer Bauwerke, das heißt beim Bau von Straßen, Bahnstrecken oder auch Lärm- und Sichtschutzwällen, verwendet. Auch Gerüstbauerinnen und Gerüstbauer verwenden zunehmend recycelte Materialien, um den ökologischen Fußabdruck ihrer Konstruktionen zu verringern.

Ein weiterer zentraler Punkt, wenn es um Nachhaltigkeit geht, ist die Nutzung erneuerbarer Energien. Durch den Bau von Solaranlagen auf Gebäudedächern kann die Nutzung fossiler Brennstoffe reduziert werden, wodurch wiederum weniger Kohlenstoffdioxidemissionen ausgestoßen werden. Aber nicht nur bei der Nutzung von Strom, auch bei der Wärmeversorgung werden regenerative Energien immer bedeutsamer. Wärmepumpen haben im Vergleich zu Öl- oder Gasheizungen einen erheblich geringeren CO2-Fußabdruck, da sie ohne fossile Brennstoffe auskommen. 

Die Thematik Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit im Bausektor liefert jede Menge mögliche Diskussionspunkte für eine methodische Diskussionsrunde im Unterricht. Für eine integrierte Betrachtung der Themen Nachhaltigkeit, Innovation und Fortschritt, eigenen sich etwa Diskussionen über den Beitrag der Bauindustrie zur Ressourcenschonung, die Rolle nachhaltiger Materialien und Technologien für die Zukunft des Bauens oder die Möglichkeiten digitaler Technologien, Bauprojekte umweltfreundlicher zu gestalten. 

Dabei sind die oben genannten Themen für die Schülerinnen und Schüler einfach nachvollziehbar und interessant, da sie Berührungspunkte mit dem täglichen Leben bieten. So spannt das Thema Nachhaltigkeit im Bauwesen eine direkte Verbindung zu den globalen Umweltproblemen und den Auswirkungen des Klimawandels, mit denen die Schülerinnen und Schüler zunehmend konfrontiert werden. Da die Schülerinnen und Schüler lernen, die Bedeutung von Recycling besser zu verstehen und für die Wertschätzung von Rohstoffen sensibilisiert werden, eignet sich die Integration des Lernfelds Baustelle in den Unterricht gut, um die Relevanz des Umweltschutzes hervorzuheben. Insgesamt bietet das Themenfeld vielfältige Möglichkeiten der praktischen Anwendung im Fachunterricht. Integrierbar wäre es beispielsweise durch die Berechnung der Energieeffizienz oder des CO2-Ausstoßes von Gebäuden, die Untersuchung des Lebenszyklus verschiedener Baumaterialien, die Kosten-Nutzen-Analyse nachhaltiger Baumethoden oder die Reflexion über soziale und ökologische Verantwortung.  

Verwendete Literatur

1 "Lernfeldorientiertes Lernen“. Campus-Berlin. Online: https://www.campus-berlin.de/blog/lernfeldorientiertes-lernen/ (abgerufen am 16.10.2024).

2 "MicrobialCrete Anwendung von Biozementierung im Bauwesen“. Hochschule München University of Applied Sciences.    Online: https://sites.hm.edu/imb/projekte/projekte_detail_12352.de.html (abgerufen am 16.10.2024).

3 Kölzer, Thomas (2021). Einflüsse der Digitalisierung auf Baustellenarbeitsprozesse. S. 97

Verwendete Internetadressen

BMDV.de: "Digitales Planen, Bauen, Infrastrukturmanagement". Online: https://bmdv.bund.de/DE/Themen/Digitales/Building-Information-Modeling/BIM/building-information-modeling.html (abgerufen am 07.01.2024).

BMDV.de: "Stufenplan Digitales Planen". Online: https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Publikationen/DG/stufenplan-digitales-bauen.html (abgerufen am 07.01.2024).

BMUV.de: "Recycelte Baustoffe". Online: https://www.bmuv.de/pressemitteilung/recycelte-baustoffe-werden-fuer-bauherren-attraktiver (abgerufen am 07.01.2024).

Fraunhofer IESE.de: "Stand der Digitalisierung in der Baubranche". Online: https://www.iese.fraunhofer.de/blog/digitalisierung-baubranche-studie/ (abgerufen am 07.01.2024).

KMK.de: "Bildung in der digitalen Welt". Online: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2018/Strategie_Bildung_in_der_digitalen_Welt_idF._vom_07.12.2017.pdf (abgerufen am 07.01.2024).

WSI.de: "Bauen 4.0". Online: https://www.wsi.de/de/wsi-mitteilungen-bauen-40-und-die-folgen-fuer-die-arbeit-in-bauunternehmen-13425.htm (abgerufen am 07.01.2024).

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Portrait von Maike Schnucklake
Maike Schnucklake

Maike Schnucklake ist promovierte Chemikerin und hat an der Freien Universität Berlin studiert.